(Letzte Bearbeitung / last updated on 22/03/2024)
↓ English
Die Briefe
Die berührende Familienkorrespondenz, die auf dieser Website erstmals veröffentlicht wird, lag über Jahrzehnte verborgen in den USA in einem Karton von Lieselotte Williamson, geb. Koch (*1923) und Ruth Veit, geb. Koch (*1925). 67 Schreiben an die beiden Schwestern sind darin enthalten. Sie stammen aus der Zeit von 1940 bis 1941, überwiegend geschrieben von den Großeltern Guckenheimer aus Frankfurt sowie von den Großeltern Koch aus Alzey. Sämtliche Briefe wurden verfasst, nachdem die Enkeltöchter mit den Kindertransporten Deutschland verlassen hatten. Einige Briefe von Freunden und Verwandten an die beiden Kindertransportkinder gehören ebenfalls dazu.
Die beiden Enkelkinder in England und den USA
Während die Korrespondenz mit Ruth in England bei Kriegseintritt von Großbritannien im September 1939 praktisch zum Erliegen kam, waren danach nur ganz sporadische Nachrichten an sie über das Rote Kreuz bzw. über die HIAS (Hebrew Immigrant Aid Society) möglich. Der reguläre Postversand in die USA endete mit deren Kriegseintritt am 11. Dezember 1941. Die meisten der erhaltenen Briefe sind an Lieselotte in Chicago gerichtet. Nachdem sie Mitte 1939 im Alter von 15 Jahren in Manchester angekommen war, konnte sie im Juni 1940 von England zur ihrer Tante Jenny Selig (geb. Hochstädter) nach Chicago flüchten, während Ruth in Großbritannien blieb. Mit finanzieller Unterstützung der Guckenheimer Großeltern hatte Lieselotte von ihrer Tante Jenny eine Bürgschaft und ein Einreisevisum für die USA erhalten. Erst 1947, weit nach Kriegsende, war es Lieselotte gelungen, ihre Schwester Ruth aus Leeds in England zu sich nach Chicago zu holen.
63 Briefe und Postkarten von den Großeltern
Für die Großeltern hatte der regelmäßige Briefwechsel mit Lieselotte und Ruth eine enorme emotionale und existentielle Bedeutung, auch weil sie darin Unterstützung für ihre Ausreisepläne erhofften. So schreibt etwa „Opa Adolf“ an seinem Geburtstag, dem 4. Februar 1940, an beide Enkeltöchter in England:
„Meine lieben Kinder! Wie ich mich freue, wenn [ein] Brief kommt von Euch […], brauch ich Euch [nicht] zu sagen, denn ich und die liebe Oma haben nur Briefe und sonst nichts. […] So gebe ich Euch den Rat: tut, was Ihr machen könnt, und verschafft uns durch die liebe Jenny und sonstige Lieben [eine] Bürgschaft. In unseren beiden letzten Briefen an Dich, liebe Lieselotte, ist alles erwähnt, und hoffen wir dann ganz bestimmt, dass Du nichts versäumst. Sonst wissen wir gar keinen anderen Rat wegzukommen.“
04-02-1940 Guckenheimer
Von den Antwortschreiben der Enkeltöchter ist kein einziger Brief erhalten geblieben. Vermutlich haben die Großeltern die gesamte Korrespondenz bei ihrer Deportation mitgenommen.
Aktuell sind auf dieser Website 67 Briefe und Karten aus den Jahren 1939 bis 1943 dokumentiert. Die meisten Schreiben wurden von den Großeltern von Lieselotte und Ruth Koch verfasst. 33 stammen von Settchen und Adolf Guckenheimer aus Frankfurt, 30 von Thekla und Ludwig Koch aus Alzey. Ich habe sie vollständig transkribiert, ins Englische übersetzt und erstmals auf dieser Website veröffentlicht. Die handschriftlichen Texte zu entziffern, war mit großen zeitlichen Aufwand verbunden. Dazu musste ich zunächst die Kurrentschrift lernen. Eine großartige Unterstützung bei allen schwierigen Textstellen war für mich Jürgen Ziegler (*1941) aus Aschaffenburg. Mit seiner unermüdlichen Hilfe gelang es mir, auch die dunkelsten Passagen in den Korrespondenzen aufzuklären.
Die Familienbriefe sind zeitgeschichtliche Dokumente, die sehr bewegen. Sie machen das Drama der Flucht aus Nazi-Deutschland und die damit verbundenen Umstände auf bedrückende Weise anschaulich. Die Hilferufe der Großeltern Guckenheimer aus Frankfurt um Unterstützung bei der Suche nach Ausreisemöglichkeiten sind unüberhörbar – und waren leider vergebens. Für sie endete die Geschichte in der Katastrophe der Deportation und Ermordung. In den Monaten vor der Verschleppung hatten sich ihre Sorgen immer mehr gesteigert mit schlimmen Vorahnungen, was auf sie zukommen würde. Ihre Hoffnung bewahrten sie bis zuletzt.
↑ Deutsch
The letters
The touching family correspondence, made public for the first time on this website, had been lying hidden in the USA for decades in a cardboard box belonging to Lieselotte Williamson, née Koch (*1923), and Ruth Veit, née Koch (*1925). It contains 67 writings to the two sisters. They date from 1940 and 1941, mostly written by the Guckenheimer grandparents from Frankfurt and by the Koch grandparents from Alzey. All the letters were written after the granddaughters had left Germany with the Kindertransports. Some letters from friends and relatives to the two Kindertransport children are also in the collection.
The two grandchildren in the UK and the US
While correspondence with Ruth in England came to a virtual standstill when the UK entered the war in September 1939, thereafter only very sporadic messages to her were possible through the Red Cross or via HIAS (Hebrew Immigrant Aid Society). Regular mail to the U.S., on the other hand, was sent until its entry into the war on 11 December 1941. Most of the preserved letters are addressed to Lieselotte in Chicago. After arriving in Manchester in mid-1939 at the age of 15, she was able to leave England in June 1940 to join her aunt Jenny Selig (née Hochstädter), in Chicago, while Ruth remained in the UK. With the financial support of her Guckenheimer grandparents, Lieselotte had obtained a guarantee and an entry visa for the United States from her Aunt Jenny. It was only in 1947, well after the end of the war, that Lieselotte was able to bring her sister Ruth from Leeds in England to join her in Chicago.
63 Letters und postcards from the grandparents
For the grandparents, the regular correspondence with Lieselotte and Ruth had enormous emotional and existential significance, not to mention the fact that it provided them some support for their own plans to leave the country. For instance, „Grandpa Adolf“ wrote to both granddaughters in England on his birthday, 4th February 1940:
„My dear children! How happy I am when a letter comes from you […] I don’t need to tell you. For I and dear Oma have only letters and nothing else. […] So I give you the advice: do what you can do and provide us with a guarantee [Affidavit] through dear Jenny or other loved ones. In our last two letters to you, dear Lieselotte, everything is mentioned, and then we certainly hope that you will not miss anything. Otherwise we know no other way of getting out at all.“
04-02-1940 Guckenheimer
Not a single letter of the granddaughters‘ reply has survived. Presumably, the grandparents took the entire correspondence with them when they were deported.
Currently, 67 letters and postcards from the years 1939 to 1943 are documented on this website. Most of them are written by the grandparents of Lieselotte and Ruth Koch. 33 are from Settchen and Adolf Guckenheimer from Frankfurt, 30 from Thekla and Ludwig Koch from Alzey. I have transcribed them in full, translated them into English and first published them on this website. Deciphering the handwritten texts was very time-consuming. I first had to learn the Kurrent typeface. Jürgen Ziegler (*1941) from Aschaffenburg was a great help to me with all the difficult text passages. With his tireless help, I was able to clear up even the darkest parts of the correspondence.
The family correspondence includes very moving historical documents. They illustrate the drama of the escape from Nazi Germany and the circumstances surrounding it in a depressing way. The appeals for help from the Guckenheimer grandparents from Frankfurt in their search for ways to leave the country are unmistakable – and were unfortunately in vain. For them, the story ended in the catastrophe of deportation and murder. In the months before they were deported, their worries had grown more and more with bad presentiments of what was to come. Their hope remained until the end.