(Letzte Bearbeitung / last updated on 08/09/2024)
Brief von Adolf und Settchen Guckenheimer an ihre Enkeltochter Lieselotte und Familie Selig in Chicago am 30. März 1941. / Letter from Adolf and Settchen Guckenheimer to their granddaughter Lieselotte the Selig family in Chicago at 30th of March 1941.
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(Nr. 33) Frankfurt, 30/03/1941
Meine lieben Alle!
Endlich nach langer Zeit, kam Euer l. Brief vom 19. Februar, aber den vom 23. Januar warten wir immer noch. Mit welch großer Sehnsucht wir auf Nachricht warten, könnt Ihr Euch gar nicht vorstellen, besonders auf unser Telegramm. Leider können wir l. Jenny aus dem Schreiben nicht ersehen, wie es mit der Erneuerung unserer Bürgschaft ist, was doch sehr wichtig ist, zu wissen, ob solche abgeschickt ist. Wir haben an verschiedene Verwandten geschrieben, und um Hilfe gebeten. An Bernhard Kuhn, Ida Sternfels,1Ida Sternfels, geb. Strauß, ist eine in New York lebende Halbschwester von Settchen Guckenheimer. Julius Levi,2Julius Levi lebt in New York und ist der Mann von Tante Luzie, der Nichte von Adolf Guckenheimer. und an Julius Schmidt, und kannst Du liebe Lieselotte nochmals an diese schreiben, und [Dich] auf unser Schreiben beziehen. Wir selbst können noch nicht gut Antwort haben. Auch haben wir geschrieben, sie sollen sich direkt mit Euch in Verbindung setzen, und wird es so Gott will auch mal zum klappen kommen. In unseren vorhergehenden Briefen haben wir ja alles ausführlich geschrieben, was heute alles verlangt wird, bis man die Bestellung nach Stuttgart bekommt, aber vor allem muss man eine gute Bürgschaft besitzen, zum Beispiel l. Jenny du wirst uns aufnehmen vorerst und solange sorgen, bis wir uns mit unseren Enkelinnen unseren Haushalt selbst übernehmen können, auch l. Lieselotte kann mitbürgen, und soll sich von ihrem Chef eine Bescheinigung ausstellen lassen, dass sie 25-30 Dollar die Woche verdient. Und brauchen womöglich gar kein Akkreditiv mehr, ist die dann für gut befunden, bekommt man seine A. C. Bescheinigung, dann muss man sich für Schiffskarten sorgen, welche auch mit Dollar bezahlt werden, ist dies erledigt, dann wird man vorgeladen nach St.[Stuttgart] und bekommt sein Visum, dass dieses alles viel Mühe & Arbeit kostet, kann ich mir wohl denken, und ist es uns sehr leid l. Jenny, dass wir Dich so in Anspruch nehmen müssen, aber wenn G.[Große] G.[Gott] W.[Will] können wir und unsere Enkelinnen alles wieder gut machen. Die Formalitäten die man braucht sind Euch allen auch bekannt von drüben. Emil Marx3Emil Marx ist der Vater von Martin Marx. Er hat die Ausreise zu seinem Sohn in Chicago nicht geschafft und wurde 1942 nach Auschwitz deportiert. hat jetzt von seinem Sohne alles bekommen, und Frau Herrmann4Johanna Herrmann, geb. Gutmann (*23.09.1879 in Kassel), war eine Nachbarin aus der Wolfsgangstr. 28 und wanderte am 13.07.1941 nach New York aus. ist soweit. Liebe Lieselotte, lass Dir mal von Tante Laura die Adr.[Adresse] Von den Verwandten von Kochs geben, es sollen doch auch reiche Leute sein, sobald Du diese hast, bitte ich Dich l. Jenny mal mit Lieselott dorten vorzusprechen, die Familie darf auch etwas tun, schreibe Tante Laura Du solltest die Leute mal besuchen, wegen Ruth, weil die jetzt zu Euch käme. Soviel wir hörten, hab die Alzeyer Grosseltern auch ihre Bürgschaft von Erich, denn dieser ist jetzt amerikanischer Bürger. Dann bitte ich Euch meine Lieben, doch unsere Briefe mit Nr. so und soviel zu bestätigen, da sind wir doch im Bilde, ob Ihr alle bekommt, jetzt sind wir an Nr. 33. angelangt. Am besten wird’s sein, wenn Ihr Euch an Tante Luzie5Luzie Levi ist die Nichte von Adolf Guckenheimer, die in New York lebt mit ihrem Mann Julius Levi. wendet, denn an diese haben wir ausführlich geschrieben, und Tante Rosa6Tante Rosa ist die Schwägerin von Adolf Guckenheimer in Wiesbaden und die Mutter von Luzie Levi. hat es getan. Sobald Ihr Nachricht von jemand habt, gebt uns bitte sofort Bescheid, und Du l. Lieselotte schreibst immer ausführlichen Brief folgt, und dabei bleibts, und nichts kommt, das musst du doch selbst wissen, dass du an uns schreiben sollst und darf dich l. Jenny nicht immer erst aufmerksam machen, und willst obendrein noch beleidigt sein, und Tante Jenny meint es doch gut mit Euch und musst noch viel lernen, wir danken dem l. Gott, dass sie für Euch beide so besorgt ist. Um das Porto zu sparen, schicke Ruths Geburtstagsgedicht. Jetzt komme zum Schluss, und sende viele herzliche Grüsse und Küssen von Eurem Vetter & Opa
Dir liebe Jenny kann ich nicht genug danken, für die grosse Hilfe, die Du uns allen entgegenbringst.
Meine Lieben! Heute hat l. Opa alles Wissenswerte geschrieben & weiß ich nicht viel zu berichten. Hoffentlich geht es Euch allen meine Lieben gut & besonders lb. Paula,7Paula Heilbrunn, geb. Schwarzschild (*26.09.1913 in Mannheim, †25.03.1980 in Chicago) Tochter von Jennys Bruder Edmund Hochstädter und Frieda Hochstädter. war diese neidische auf Dich l. Liselotte? Hast Du jetzt Frau Rothschild gesprochen & bitte ich Dich, doch unsere Fragen auch zu beantworten. L. Jenny Du handelst ganz in meinem Sinn, wenn du Lieselotte ihre Fehler aufmerksam machst, die Jugend meint halt, alles besser zu wissen und sehen erst später ein, daß man es auch gut mit ihnen meint, ich hoffe doch nicht, daß Lieselotte alle guten Lehren, welche [wir] ihr mit auf den Weg gegeben haben, in der 2 Jahren schon vergessen hat. Lieselotte, sowie
[RAND RECHTS]
auch Ruth waren stets folgsam & brav und werden so doch hoffentlich auch geblieben sein, also l. Lieselotte, sei nur weiter brav & lieb, mache Tante Jenny keine Sorgen, man hat doch welche genug.
[RAND LINKS]
L. Jenny schreibe uns bitte recht bald Antwort & alles, was Du sonst auf dem Herzen hast. Danke & innige Grüße & Küsse für alle Lieben Eure Settchen & Oma.
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(No. 33) Frankfurt, 30/03/1941
Dear All!
Finally, after a long time, your dear letter of February 19 arrived, but we are still waiting for the one of January 23. You cannot imagine with what great longing we are waiting for news, especially for our telegram. Unfortunately, dear Jenny, we cannot see from the letter how it is with the renewal of our guarantee, which is very important to know whether it has been sent. We have written to various relatives asking for help. To Bernhard Kuhn, Ida Sternfelds,8Ida Sternfels, née Strauß, was a half-sister of Settchen Guckenheimer living in New York. Julius Levi,9Julius Levi lived in New York and was the husband of Aunt Luzie, the niece of Adolf Guckenheimer. and Julius Schmidt. Can you, dear Lieselotte, write to them again and refer to our letters? We ourselves cannot yet have a proper answer. We have also written that they should contact you directly. It will, God willing, come to a success some day. In our previous letters we have written everything in detail about what is required today until one gets the appointment to Stuttgart. But above all, one must have a good guarantee. For example, dear Jenny, you will take us in for the time being and take care of us until we can take over our household ourselves with our granddaughters. Dear Lieselotte can also be a guarantor and should get a certificate from her boss that she earns 25-30 dollars a week. Then we may not need a letter of credit at all. If the guarantee is approved, you get your A.C. certificate, then we have to get ship tickets for you, which are also paid for with dollars. Once this is done, one is invited to St.[Stuttgart] and receives the visa. I can well imagine that all this costs a lot of effort and work. We are very sorry, dear Jenny, that we have to take up so much of your time, but if the Great God Will, we and our granddaughters can make everything well again. The formalities that are needed are also known to you all from over there. Emil Marx10Emil Marx is the father of Martin Marx. He has not managed to escape to his son in Chicago and was deported to Auschwitz in 1942. has now received everything from his son. And Mrs. Herrmann11Johanna Herrmann, née Gutmann (*23.09.1879 in Kassel), was a neighbour from Wolfsgangstr. 28 and emigrated on 13.07.1941 to New York. is ready. Dear Lieselotte, ask Aunt Laura to give you the address of the Kochs‘ relatives. They are supposed to be rich people, too. As soon as you have it, I’ll ask you, dear Jenny, to go there with Lieselotte. The family may also do something. Write to Aunt Laura that you should visit them because Ruth is coming to you now. As far as we heard, the Alzey grandparents also have their guarantee from Erich, because he is now an American citizen. Then I ask you, my dear ones, to confirm our letters with number so and so. Then we will know whether you have received all of them. Now we have reached No. 33. It will be best if you contact Aunt Luzie,12Luzie Levi is the niece of Adolf Guckenheimer, who lives in New York with her husband Julius Levi. because we have written to her in detail. And Aunt Rosa13Aunt Rosa is the sister-in-law of Adolf Guckenheimer from Wiesbaden and the mother of Luzie Levi. has also done it. As soon as you have news of someone, please let us know immediately. And you, dear Lieselotte, are always writing „detailed letter to follow“ and that’s where it stays and nothing comes. You must know that yourself, that you should write to us. Since you, dear Jenny, should not always first alert. And on top of that you feel like being offended. Aunt Jenny means it well with you. You still have a lot to learn. We thank God that she is so concerned about you both. To save on postal charges, I’m sending along Ruth’s birthday poem. Now I come to the end and send many warm greetings and kisses from your cousin & Opa.
PS: To you, dear Jenny, I cannot thank you enough for the great help you give to all of us.
My dears! Today dear grandpa has written everything worth knowing. I don’t know that much to tell you. I hope that all of you, my dear ones, are well and especially dear Paula.14Paula Heilbrunn, née Schwarzschild (*26.09.1913 in Mannheim, †25.03.1980 in Chicago), daughter of Jenny’s brother Edmund Hochstädter and his wife Frieda Hochstädter. Was she jealous of you, dear Liselotte? Have you spoken to Mrs. Rothschild now? I ask you to answer our questions as well. Dear Jenny, you are acting entirely in my sense when you point out Lieselotte’s mistakes. Young people think they know everything better and only later realize that you mean well by it. I hope that Lieselotte has not forgotten all the good lessons we have given her in the last 2 years. Lieselotte and
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Ruth have always been obedient and well-behaved and hopefully will remain so. So dear Lieselotte, just continue to be good & sweet, don’t worry Aunt Jenny. One has such enough.
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Dear Jenny, please write to us as soon as possible with your answer and anything else you have on your mind. Thank you and fond greetings and kisses to all dear ones, your Settchen & Oma.
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The Koch relatives also live in Chicago.
Anmerkungen / Notes
- 1Ida Sternfels, geb. Strauß, ist eine in New York lebende Halbschwester von Settchen Guckenheimer.
- 2Julius Levi lebt in New York und ist der Mann von Tante Luzie, der Nichte von Adolf Guckenheimer.
- 3Emil Marx ist der Vater von Martin Marx. Er hat die Ausreise zu seinem Sohn in Chicago nicht geschafft und wurde 1942 nach Auschwitz deportiert.
- 4Johanna Herrmann, geb. Gutmann (*23.09.1879 in Kassel), war eine Nachbarin aus der Wolfsgangstr. 28 und wanderte am 13.07.1941 nach New York aus.
- 5Luzie Levi ist die Nichte von Adolf Guckenheimer, die in New York lebt mit ihrem Mann Julius Levi.
- 6Tante Rosa ist die Schwägerin von Adolf Guckenheimer in Wiesbaden und die Mutter von Luzie Levi.
- 7Paula Heilbrunn, geb. Schwarzschild (*26.09.1913 in Mannheim, †25.03.1980 in Chicago) Tochter von Jennys Bruder Edmund Hochstädter und Frieda Hochstädter.
- 8Ida Sternfels, née Strauß, was a half-sister of Settchen Guckenheimer living in New York.
- 9Julius Levi lived in New York and was the husband of Aunt Luzie, the niece of Adolf Guckenheimer.
- 10Emil Marx is the father of Martin Marx. He has not managed to escape to his son in Chicago and was deported to Auschwitz in 1942.
- 11Johanna Herrmann, née Gutmann (*23.09.1879 in Kassel), was a neighbour from Wolfsgangstr. 28 and emigrated on 13.07.1941 to New York.
- 12Luzie Levi is the niece of Adolf Guckenheimer, who lives in New York with her husband Julius Levi.
- 13Aunt Rosa is the sister-in-law of Adolf Guckenheimer from Wiesbaden and the mother of Luzie Levi.
- 14Paula Heilbrunn, née Schwarzschild (*26.09.1913 in Mannheim, †25.03.1980 in Chicago), daughter of Jenny’s brother Edmund Hochstädter and his wife Frieda Hochstädter.