09-11-1941 Koch

(Letzte Bearbeitung / last updated on 12/09/2024)

Brief von den Großeltern Thekla und Ludwig Koch an ihre Enkeltochter Lieselotte in Chicago und ihre Enkeltochter Ruth in Leeds vom 9. November 1941. / Letter from the grandparents Thekla and Ludwig Koch to their granddaughter Lieselotte in Chicago and to their granddaughter Ruth in Leeds on 9th of November 1941.

Transkription / Transcription

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Alzey, 09/11/1941

[Vorderseite]

Meine lieben, innigst geliebten Kinder,
Der Brief ist für Euch beide berechnet, denn gestern Nachmittag erhielten [wir] Eure lieben Briefe vom 20.X.41. & als ich Dein Bildchen, l. [liebe] Ruth, in der Hand hielt, habe ich erst einmal fest geweint, ehe ich lesen konnte, es waren aber Freudentränen, die mich in der Zeit ein paar Jahre zurück versetzten, ob es je wieder einmal so wird? Wer kann es wissen. G.s.D. [Gott sei Dank], daß Ihr beide gesund & munter seid & bin auch ich wieder die alte, bis auf viele Mängel, die [ich] gar nicht alle aufzählen kann. Ich arbeite aber wieder alles, bis auf die gröberen Sachen, da habe [ich] immer noch [ein] zulaufen Mädel, die kommt jeden Morgen eine Stunde, Mittwoch, Donnerstag & Freitag etwas länger, es ist uns aber wohl, wenn wir wieder allein sind, der l.[liebe] Opa vertritt das Hausmädchen. Wir haben ja ganz wenig Besuche zu erwarten, von auswärts kann niemand mehr kommen & in der Stadt ist Ida Kahn die einzige, die jeden Tag uns besucht, Albert Baum ab & zu, die sehr nett & aufmerksam, während meiner Krankheit waren. Mendels haben keine Zeit, denn in dem Haus wohnen Mendels, Frau Strauß mit Marianne, eine Tante von Frau Mendel, Frau Rothschild & Herr Seimann von Gau-Sternheim & Frau Simon Hirsch & Max Rosenthal. Allerhand! Die Mutter von Gerhard & Luisa kommt auch immer mal & soll mir sogar jetzt beim Nähen helfen. Gerhardt arbeitet als Feinmechaniker in einer Fabrik in Wiesbaden & Luisa ist noch in Mainz im Altenheim als Mädchen. Beides sind sehr nette Kinder. Sonst kommt auch niemand mehr in Frage. Krämers von München sind in New York. Erich K. ist bald fertig als Apotheker, studiert noch & arbeitet die freie Zeit in der Apotheke, in die er bei seinem Hinkommen Stellung fand. Er muß ein prächtiger Mensch sein, denn er hat schon ein paar Examen mit I bestanden. Allen, denen ich Euer Bildchen zeigte, lassen Euch grüßen. Daß Du, l. [liebe] Lieselotte, Dich so gar nicht für die bekannten großen hiesigen Juden interessierst, kann ich gar nicht verstehen, da ist…

[Rückseite]

… doch der Dr. Robert Stern, Offenbach, der hat eine Tochter in Deinem Alter & ist als Arzt in einem Krankenhaus dorten & ein Bibliothekar, ein tüchtiger Mann, der l. [liebe] Opa kann Dir die Adresse schreiben, das sind doch nähere & weitere Verwandten von uns & Du kommst dadurch in gute Kreise. Jetzt kommen die Freunde! Was sind sie, wie heiβen dieselben & was arbeiten sie? Bist Du, l. [liebe] Ruth bei Juden & was arbeitest Du & verdienst Du was? Als was? Ich habe mich gefreut, daß Du so fleißig gestrickt hast, die Wolle kostet doch auch Geld & das Theater. Schreibe uns bitte einmal Genaueres? & Die l. [liebe] Lieselotte? Bist Du mit Deiner Tätigkeit zufrieden? Ich habe mich erst aufgeregt & dann amüsiert, daß Ihr beide schon Freunde habt. Jetzt zu uns! Onkel Julius & Tante Thekla1Die Rede ist von Julius und Thekla Engel. Julius Engel ist der zwei Jahre jüngere Bruder von Thekla Koch, geb. Engel, der mit seiner Frau Thekla, geb. Rothschild, im August 1940 nach Palestina auswanderte zu seinen bereits zuvor emigrierten Kindern Ernst und Bertha („Bertel“) Engel. schrieben uns durchs Rote Kreuz 25 Worte, daß sie glücklich bei ihren Kindern seien, datiert vom Juli & im Juni kamen sie an, also waren sie gerade ein Jahr unterwegs. Wir haben uns aber gefreut, daß sie noch leben. Von Tanta Laura haben wir regelmäßig Post & war sie über die Feiertage bei Erich,2Bei Tante Laura handelt es sich um Laura Liebmann, geb. Koch, die Schwester von Ludwig Koch, die 1938 in die USA nach New York emigrierte. Erich ist ihr Sohn, der bereits 1935 nach Cincinatti ausgewandert war. ich glaube, daß er im Herbst vielleicht Mitteilhaber am Geschäft wird, der eine alte Herr scheidet dann aus. Hoffentlich macht er dann sein Glück, nachdem er bald 6 Jahre in den Geschäft tätig ist. – Die paar Verwandten, die noch in D. [Deutschland] sind, schreiben alle regelmäßig & sind wir besser mit allen auf dem Laufenden, wie früher. Jetzt habt Ihr aber ordentlich zu lesen, macht‘s wett & schreibt auch bald wieder Antwort. Bleibt weiter gesund & empfangt die herzlichsten Grüße & Küße, die Euch in Gedanken gibt, Eure Euch innig liebende Oma

Meine liebe Lieselotte & meine liebe Ruth. Es war für mich wieder ein Freudentag, als ich gestern in Besitz Eurer so lieben, reichhaltigen Briefe kam, wo viele Neuigkeiten darin standen & hat ja die liebe Oma alles Nennenswerte erwähnt & wie wir hoffentlich alle Details ungeniert von Euch beiden, mein lieben Kinder, erwarten dürfen; dasselbe ist hoffentlich alles noch im Traum ein Kinderspiel & der Neffe von Tante Ida Kreuznach (Ellis Schwiegermutter), Dr. Fritz Haas 1427 East 67. The Place Chicago. Die Kinder grüßen Dich & dieselben sind in Deinem [unleserlich?] liebe Lieselotte: Hoffe bald wieder Nachricht, von Euch beiden, meine Lieben, erwarten zu dürfen. & Seid für heute umarmt mit den herzlichsten Grüßen & kräftigen Küßen in Gedanken Euer Euch liebender Opa.

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Alzey, 09/11/1941

[Frontpage]

My dear, dearly beloved children,
This letter is meant for you both, because yesterday afternoon we received your dear letters of October 20, 1941. And when I held your little picture, dear Ruth, in my hand, I cried hard before I could read it, but they were tears of joy that took me back in a few years, will it ever be like that again? Who can know. Thank God that you are both safe and sound. I am also back to my old self, except for many shortcomings that I can’t even list. But I’m doing everything again, except for the rough stuff, because I still have an extra girl who comes every morning for an hour: Wednesday, Thursday and Friday a little longer. But we’re fine when we’re alone again, dear Grandpa stands in for the maid. We have very few visitors to expect, nobody can come from out of town and Ida Kahn is the only one in town who visits us every day, Albert Baum from time to time, who was very kind and attentive during my illness. The Mendels have no time, because the Mendels, Mrs. Strauss and Marianne, an Aunt of Mrs. Mendel, Mrs. Rothschild and Mr. Seimann from Gau-Sternheim and Mrs. Simon Hirsch and Max Rosenthal live in the house. Lots and lots! Gerhard and Luisa’s mother also comes to visit from time to time and is even supposed to help me with my sewing now. Gerhardt works as a precision mechanic in a factory in Wiesbaden and Luisa is still in Mainz as a girl in a retirement home. Both are very nice children. No one else comes into question. The Krämers from Munich are in New York. Erich K. will soon be finished as a pharmacist, he’s still studying and spends his free time working in the pharmacy where he found a job when he arrived. He must be a splendid man, because he has already passed a few exams with an „I“. I send my regards to everyone I showed your picture to. I can’t understand why you, dear Lieselotte, are so uninterested in the well-known great local Jews, because…

[Backpage]

… Dr. Robert Stern, Offenbach, who has a daughter of your age and is a doctor in a hospital there, as well as a librarian, a capable man. Dear Grandpa can write you the address, they are close and distant relatives of ours and you will be in good company. Now it’s your friends‘ turn! What are they, what are their names and what do they do? Are you, dear Ruth, with Jews and what do you work for and what do you earn? As what? I was pleased to see you knitting so diligently. The wool also costs money, and the theater. Could you please give us more details? And dear Lieselotte? Are you happy with your work? I was upset at first and then amused that you both already have friends. Now to us! Uncle Julius and Aunt Thekla3The couple in question are Julius and Thekla Engel. Julius Engel is the two years younger brother of Thekla Koch, née Engel, who emigrated to Palestine with his wife Thekla, née Rothschild, in August 1940 to join his children Ernst and Bertha („Bertel“) Engel, who had already emigrated. wrote us 25 words through the Red Cross to say they are happy with their children, dated July. They arrived in June, so they had just been on the journey for a year. But we were delighted that they were still alive. We received regular mail from Aunt Laura. She was with Erich4Aunt Laura is Laura Liebmann, née Koch, Ludwig Koch’s sister, who emigrated to New York in 1938. Erich is her son, who had already emigrated to Cincinatti in 1935. over the holidays, I think he might become a partner in the business in the fall, the one old gentleman will then retire. Hopefully he will then make his fortune, having worked in the business for almost 6 years. – The few relatives who are still in Germany all write regularly. That way we can keep up to date with everyone like we used to. But now you have a lot to read, make up for it and write back soon. Stay healthy and receive the warmest greetings and kisses in my thoughts from your dearly loving Oma.

My dear Lieselotte and my dear Ruth. It was another happy day for me yesterday when I came into possession of your lovely, rich letters, which contained lots of news. Dear Grandma mentioned everything worth mentioning and how we can hopefully expect all the details from both of you, my dear children, without hesitation. This is the nephew of Aunt Ida Kreuznach (Elli’s mother-in-law): Dr. Fritz Haas, 1427 East 67 The Place Chicago. The children greet you and they are in your [illegible?] dear Lieselotte: I hope to hear from you both again soon, my dears. So for today, be embraced with the warmest greetings and strong kisses in my thoughts, your loving Opa.

Anmerkungen / Notes
  • 1
    Die Rede ist von Julius und Thekla Engel. Julius Engel ist der zwei Jahre jüngere Bruder von Thekla Koch, geb. Engel, der mit seiner Frau Thekla, geb. Rothschild, im August 1940 nach Palestina auswanderte zu seinen bereits zuvor emigrierten Kindern Ernst und Bertha („Bertel“) Engel.
  • 2
    Bei Tante Laura handelt es sich um Laura Liebmann, geb. Koch, die Schwester von Ludwig Koch, die 1938 in die USA nach New York emigrierte. Erich ist ihr Sohn, der bereits 1935 nach Cincinatti ausgewandert war.
  • 3
    The couple in question are Julius and Thekla Engel. Julius Engel is the two years younger brother of Thekla Koch, née Engel, who emigrated to Palestine with his wife Thekla, née Rothschild, in August 1940 to join his children Ernst and Bertha („Bertel“) Engel, who had already emigrated.
  • 4
    Aunt Laura is Laura Liebmann, née Koch, Ludwig Koch’s sister, who emigrated to New York in 1938. Erich is her son, who had already emigrated to Cincinatti in 1935.